TEIL 2: DAS HEILUNGSKONZEPT DER PESSO-PSYCHOTHERAPIE
Neueste Forschungsergebnisse sowohl über Emotionen, Gedächtnis und Hirnfunktionen wie auch über die Folgen körperlicher und sexueller Traumatisierung weisen darauf hin, dass sich psychologische Störungen im Leben sowohl als mentale Repräsentationen als auch als Körpererfahrungen, Körperempfindungen und motorisches Verhalten manifestieren. Dies erklärt das wachsende Interesse von Klienten und Therapeuten an solchen Behandlungsformen, die die Informationen des Körpers in einer systematischen und methodisch professionellen Weise einbeziehen (Damasio 1999, von der Kolk 1996).
Viele psychologische Probleme können als Folge der mangelhaften Befriedigung von Entwicklungsbedürfnissen in der frühen Kindheit verstanden werden. Das Bedürfnis nach Nahrung, Unterstützung, Schutz, Begrenzung und nach dem Gefühl, einen Platz in der Welt zu haben, muss sowohl konkret als auch symbolisch in der richtigen Altersstufe und im Rahmen der richtigen Verwandtschaftsbeziehung erfüllt werden, in angemessenen Interaktionen, die zum Bedürfnis eine „Passform“ bieten. Bleiben diese Interaktionen aus, kann das Kind nicht ausreichend zu seinem wahren erwachsenen Selbst heranreifen, da es auf drei Ebenen unter schädigenden Folgen leidet: biologisch, psychologisch und existenziell. Das Ziel der Psychotherapie sollte es sein, den Menschen dabei zu helfen, wieder zu entdecken und zu verwirklichen, wer sie wirklich sind, ihr Bewusstsein zu erweitern, ihrem Körper als verlässlicher Informationsquelle zu vertrauen, ihre Emotionen in sicherer Umgebung auszudrücken – und darüber hinaus mit positiven Erwartungen in ihr weiteres Leben zu blicken, indem sie sich auf alternative neue, leiblich-seelisch verankerte Erinnerungsbilder von befriedigenden Interaktionen stützen können. All dies erfordert eine gründlich ausformulierte körperorientierte Psychotherapie. (aus den Ausbildungs-Richtlinien)
ANDERE THERAPEUTISCHE LÖSUNGSANSÄTZE
Es gibt also all diese Muster, die wir endlos wiederholen, und dann geht man in Therapie. Und da gibt es viele verschiedene Herangehensweisen. Der Therapeut mag sagen: „Nun, lass uns zurückgehen und gemeinsam diese Geschichte anschauen, das war ganz schön bescheiden, nicht wahr? Also gut, geh durch die Trauer hindurch, und die Trauerarbeit, das ist die Therapie. Du musst all das, was dir gefehlt hat, abtrauern. Und wenn du das alles betrauert hast, dann erlebst du ein wenig korrigierende Erfahrung, und damit wird es dir besser gehen.“ Die Grundannahme ist also: durch die Therapie wirst du dich besser fühlen trotz deiner problematischen Geschichte. Und viele Therapieansätze versuchen das. Es gibt eine Menge stoischer Lösungen: „Ja, das war mies, aber schau mich nur an: Ich habe einen Weg gefunden, drüber weg zu kommen!“
Andere Lösungsansätze sind z.B., die Geschichte anzuschauen und zu sagen: „Also weißt du, du denkst dass deine Geschichte so schlecht war, aber weißt du, du hast die Dinge nur falsch aufgefasst! Schau doch mal, deine Mutter war doch gar nicht so schlecht, wie du dachtest, dein Vater war nicht so schlecht wie du dachtest. Ich werde dir zeigen, dass es in der Tat auch Erinnerungen gibt, die Goldes wert sind. Du dachtest, da ist nur Mist, aber weißt du, da wachsen auch Rosen!“ Und der Therapeut zeigt uns, wie wir in der Geschichte graben können und die Edelsteine und Juwelen finden, die wir so dumm waren zu übersehen. Und so finden wir heraus, dass unsere Vergangenheit in Wirklichkeit besser war, als wir glaubten.
Oder es heißt: „Nun, weißt du, du hast das in der Vergangenheit entbehrt, aber mach dir keine Sorgen, du kannst es jetzt bekommen. Heirate eine Mutter, also such dir eine nette Frau aus, und sie wird dich so bemuttern wie du es damals vermisst hast. Oder such dir einen netten Mann, und er wird für dich der Vater sein, der dir fehlte. Du kannst das in der Gegenwart nachholen.“ Aber das passt nicht zu meinen Annahmen. Es muss im richtigen Alter und mit den richtigen Verwandten passieren. Wenn es im falschen Alter passiert, dann bin ich hier als Erwachsener, ich will heiraten, und in mir ist ein kleines Baby, das „Ma ma, da da da“ sagt. Aber von mir wird erwartet, dass ich ein Erwachsener bin, und mein Baby kommt in meiner Paarbeziehung raus, und meine Frau kriegt Probleme. Sie hat es gleichzeitig mit einem Ehemann und einem Baby zu tun, und das klappt nicht. Dann braucht man Paartherapie usw. Das ist also eine Art Lösung, die die Leute versuchen.
Ein anderer Lösungsansatz lautet: „OK, du hast in dir diese unabgeschlossenen Kindheitsthemen. Diese Bedürfnisse gehen nicht weg, diese Entwicklungsbedürfnisse sind hartnäckig, lästig, sie bleiben und klopfen immer wieder an die Tür: ‚Wir sind immer noch da, wo sollen wir hin?‘ Und sie rumpeln in den Kerkern unseres Geistes und lassen sich einfach nicht vertreiben, also versuchen wir doch, sie im Hier und Jetzt zu befriedigen!“ Oder man schlägt den Weg ein: „OK, da ist dieses Kind in dir, setze es hier vor dich hin und versorge es als die Mutter oder der Vater, nach denen es sich sehnt. Hurra, wir haben die Lösung, ich werde selbst diese Mutter / dieser Vater sein!“ Aber ist das nicht genau das, was wir schon unser ganzes Leben tun mussten, während unsere Bedürfnisse nicht beantwortet wurden? Wir hatten nicht die Eltern, die wir brauchten, und wir mussten und selbst helfen. Daher glaube ich nicht, dass das wirklich eine Lösung ist, weil es uns in genau diejenige Position bringt, wo wir uns selbst versorgt haben, weil die elterliche Versorgung von außen fehlte.
DIE KONSTRUKTION NEUER, SYNTHETISCHER ERINNERUNGEN
Da sind wir nun. Ich selbst biete die folgende Antwort an. Irgendwie glaube ich, dass es die einzige wirkliche Antwort ist … bitte verzeihen Sie diese Behauptung, Sie können sich vorstellen, dass eine eigene Entdeckung wie das eigene „Baby“ ist … Wenn also das Problem darin besteht, dass wir Erinnerungen oder eine Geschichte haben, die unzureichend war und nicht unseren Reifungsbedürfnissen entsprochen hat, dann, so war die Schlussfolgerung, zu der meine Frau und ich vor langer Zeit gelangt sind, dann müssen wir synthetische Erinnerungen konstruieren und dafür eine Bühne schaffen — eine Art Zeitmaschine —, auf der man in der Zeit zurückgehen und noch einmal diese kindlichen Bedürfnisse spüren kann, die die ganze Zeit irgendwo lauern und sich andauernd im Hier und Jetzt Ausdruck verschaffen. Aber anstatt zu versuchen, sie in der Gegenwart zu befriedigen, könnten wir dafür sorgen, dass sie im Rollenspiel von denjenigen Figuren befriedigt würden, die in der jeweiligen Entwicklungsstufe in der angemessenen Verwandtschaftsbeziehung zum Klienten gestanden hätten. In einem Fall, wo ein Mangel an Erfahrung von Platz war, könnte man dieses fehlende Gefühl für seinen Platz nun erleben, und das nicht mit einer beliebigen Person, sondern in diesem Fall mit der „idealen Mutter“, wie wir sie nennen (Wir nehmen an, dass verschiedene Verhaltensweisen mit verschiedenen Klassen von Verwandtschaftsbeziehungen verbunden sind). Das ist also unsere Antwort: die Konstruktion einer neuen, synthetischen Erinnerung. Wenn wir davon ausgehen, dass die Erinnerungen unser gegenwärtiges Bewusstsein bestimmen und steuern, und wenn die alte (reale) Erinnerung alles ist, was wir haben, dann finden wir Wege, ihr neue Erinnerung zur Seite zu stellen.
Dies ist eine ergänzende Erinnerung, wir löschen die ursprüngliche Erinnerung nicht aus, um Gottes willen: das sollten wir nicht tun, denn das ist schließlich unsere Lebensgeschichte. Aber wir konstruieren ein zusätzliches Erinnerungsbild, das besser unseren genetisch geprägten Erwartungen an diejenigen Reifungsschritte entspricht, die zu der entsprechenden Zeit hätten stattfinden sollen. Das ist ein wichtiger Punkt, denn man könnte sagen: „Halt mal, ich kann keine idealen Eltern in dieser Erfahrung akzeptieren, denn das wäre illoyal gegenüber meinen echten Eltern, die ich dafür raus schmeißen müsste.“ Man schmeißt nicht die alte Geschichte raus, man gibt ihr ihren geschätzten Ort und dann fügt man als Ergänzung dieses neue symbolische, synthetische Stück Geschichte bei.
AUSGANGSPUNKT: DAS VERFOLGEN DES GEGENWÄRTIGEN BEWUSSTSEINS
Wie stellen wir dies nun an? Sagen wir: „OK, nun gehe ich zurück und stelle mir vor, ich bin so und so alt, ich entscheide mich bewusst dafür“? Das könnte man wohl machen, nehme ich an, aber über die Jahre hinweg habe ich einen Weg gefunden, den ich für den optimalen halte, vielleicht deshalb, weil ich daran gewöhnt bin. Das Bewusstsein ist, wie gesagt, durch die Geschichte gesteuert, oder anders ausgedrückt: Das gegenwärtige Bewusstsein ist wie ein Stoff, in den die Fäden der Geschichte eingewoben sind. Was scheinbar „Jetzt“ ist, ist größtenteils Geschichte. Und meine Weise, meine bevorzugte Weise nach langen Jahren des Experimentierens, ist es, das gegenwärtige Bewusstsein minutiös zu verfolgen („microtrack“), die Klienten wie in der Demonstration gestern genau von dort ausgehen zu lassen, wo sie sich befinden. Ich werde Ihnen die Technik des Microtracking vorstellen, wie man das macht, dort anzufangen, wo die Klienten sind, wie sie das „Jetzt“ wahrnehmen, was sie über das „Jetzt“ denken, und wie man das verfolgt. Ich erkläre Ihnen, was ich damit meine.
Im Microtracking machen wir die Architektur und Organisation des Bewusstseins sichtbar, so dass erkennbar wird, woraus es besteht. Dies wird uns zu den Erinnerungen führen, aus denen es besteht, und dann können wir gezielt neue Erinnerungen konstruieren. Wir beginnen also im absoluten Hier und Jetzt und wir verfolgen so genau wie möglich die beiden grundlegenden Dimensionen des Bewusstseins. Ein Teil des Bewusstseins sind unsere emotionalen Reaktionen, von Augenblick zu Augenblick zu Augenblick zu Augenblick. Unsere Emotionen sind ja, wie der Titel von DAMASIOS Buch so zutreffend sagt, die ‚Wahrnehmung dessen, was geschieht‘, ein anderes Wort für unser Bewusstsein. Die meisten Menschen glauben, Bewusstsein sei Denken. DAMASIO sagt, es ist Emotion, für ihn ist Bewusstsein eingebettet im „Bauch“, im Erleben von etwas. Denn in demselben Augenblick, wo wir etwas wahrnehmen, reagieren wir unmittelbar darauf Unser Körper reagiert unablässig auf das, was wir sehen, und bereitet sich darauf vor, auf das Gesehene auf optimale Weise zu reagieren. Dafür ist unser Bewusstsein da, um uns zu helfen, mit der äußeren Realität umzugehen. Wie nehmen etwas wahr, und zack, reagiert der Körper, und die Reaktion ist ein emotionaler Zustand. Eine andere seiner Aussagen ist: Es gibt keinerlei Bewusstsein ohne Emotion, sie sind absolut miteinander verbunden, denn wenn man sich die neurologischen Verschaltungen ansieht, ist Bewusstsein keinesfalls Kognition, sondern immer Emotion. Die Emotionen sind das von der Evolution entwickelte Werkzeug, um mit der äußeren Welt umzugehen. Dafür sind Emotionen da. Das hört sich eigenartig an, wir sagen: „Die Emotionen sind uns im Weg“, und die Evolution erwidert: „Hey, hier ist diese wundervolle Gabe, dein Leben in den Griff zu bekommen und zu ordnen!“ Bewusstsein ist ein Gefühl, und es beinhaltet Emotionen.
BEZEUGEN VON EMOTIONEN UND AFFEKTIVEN VERÄNDERUNGEN
Was wir also im Microtracking verfolgen sind die Emotionen, wie sie quicklebendig über den Körper flackern, besonders über das Gesicht. Auf dem Gesicht zeigen sich unmittelbar die emotionalen, affektiven Veränderungen. Wir führen hierfür die so genannte „Zeugenfigur“ ein, das ist eine hypothetische Figur, die dein Gesicht und deine gesamte Haltung sieht und einordnet. Ich frage mich, welche Emotion es wohl ist, die du innerlich empfindest, und die sich im Moment auf deinem Gesicht zeigt. Manchmal hat jemand ein Gefühl und hat keinen Namen dafür, und manchmal hat jemand ein Gefühl, das sich schon auf dein Gesicht zeigt, von dem er aber noch nichts weiß, weil er ein wenig dissoziiert oder depersonalisiert ist. Nur als ein Beispiel hierfür: Jemand sagte: „Ich habe in einem Restaurant gegessen und dachte, es regnete, weil Wasser in meine Suppe fiel.“ Und ich fragte: „Wieso hat es in dem Restaurant geregnet?“, und ihm wurde klar, dass er geweint haben musste, und dass es seine eigenen Tränen waren. Menschen sind dazu fähig, dass ihre Seele und ihr Körper weinen, und ihr Bewusstsein nichts davon weiß. So können wir uns abspalten. Aber das Gefühl zeigt sich auf dem Gesicht, in diesem Beispiel in Form der Tränen.
Wenn wir nun also eine Zeugenfigur einführen, dann würde sie sagen: „Ich sehe, wie viel Trauer du empfindest“ oder „wie traurig du bist“. Der Grundgedanke des Bezeugens ist es, die Emotion zu benennen, was sie aus der alleinigen Präsenz im limbischen System heraus nimmt und auch im Cortex präsent macht, und sie dann in den Kontext ihres Auftretens stellt: „Ich sehe, wie traurig du bist, wenn du an dies oder das denkst, dich an dies oder das erinnerst.“ Die Zeugenbotschaft benennt so den Affekt und stellt ihn in seinen Kontext. So schafft sie ein Bewusstsein dafür und das Wissen: aus diesem Grund fühle ich die Emotion. Manchmal fühlen Klienten eine Emotion und wissen nicht, warum, wo sie her kommt, und diese Intervention gibt diesem Teil des Bewusstseins Kontur.
EXTERNALISIEREN VON GEDANKEN
Die andere Seite des Bewusstseins sind die Gedanken, die uns unablässig durch den Kopf gehen, unserer innerer Kommentar zu unserem Leben, als ob wir einen inneren Erzähler oder Geschichtsschreiber hätte, der alles benennt und in einen verbalen Erzählzusammenhang stellt. Wir können gar nichts dagegen tun, das geschieht die ganze Zeit. Manchmal heißt es beim Meditieren, man müsse das Geschnatter abstellen, aber das gehört zum Bewusstsein dazu: das Benennen, Klären, Definieren der Ereignisse, wie sie auf uns einströmen. Unsere Gedanken destillieren daraus das bedeutungstragende verbale Territorium all dessen, was wir erlebt haben. Wenn also jemand in unserem therapeutischen Setting ist und wir das Microtracking machen, hat er einerseits Gefühle, und der Zeuge sagt so etwas wie „Ich sehe, wie traurig du bist, wenn du an den Tod deines Vaters denkst“, und die Person sagt „Ja!“, und die Trauer verstärkt sich, und dann sagt sie vielleicht: „Aber ich habe darüber schon zehn Jahre lang geweint, ich sollte endlich damit aufhören!“ Das ist ein Gedanke. Also nehmen wir diesen Gedanken und setzen ihn nach außen als eine Stimme die sagt: Du hast darüber schon zehn Jahre lang geweint du solltest endlich damit aufhören!“
Warum tun wir das? Weil die innere Reaktion auf unsere Gedanken der auf hypnotische Suggestionen gleicht. Wir wissen nicht, dass sie unser Leben regieren, aber sie tun es. Wir leben den Werten entsprechend, die in unseren Gedanken eingebettet sind. Entstanden sind diese Gedanken und Werte aus Verhalten. Wir haben bestimmte Ereignisse erlebt, die uns bestimmte Dinge mitgeteilt haben, und dann sind wir zu Annahmen gekommen: Der Grund, warum diese Dinge geschehen, ist der und der. Du weinst zu viel, zum Beispiel. Und dann wird das zu einem Gedanken, der in Zukunft unser Verhalten bestimmt. Wenn wir diesen Gedanken nach außen stellen (als Stimme), dann ist er nicht länger im Gehirn eingebettet, er ist sichtbar ein Kommando von außen, und unsere Seele hat die Chance, dagegen zu rebellieren, weil er nicht mehr nur innen in uns ist. Außerdem gibt uns das die Gelegenheit, den Gegensatz zwischen Gefühlszuständen und Kognitionen wahrzunehmen. Im Microtracking verfolgen wir von Moment zu Moment all die verschiedenen Veränderungen, all die Stückchen Information, die sich auf dem Körper zeigen, so wie er in der Gegenwart lebt. Und das gibt dem Klienten einen Eindruck von Mustern und Ordnung in ihrem Bewusstsein. Sie beginnen, wiederkehrende Muster zu entdecken. Und in dem Moment, wo die Muster deutlich werden, beginnt sozusagen die Suche im Archiv der Lebenserfahrungen, man fragt sich: „Wo habe ich dieses Muster schon einmal gesehen?“ Und dann macht es ratter, ratter, pling, und dann kommt eine Erinnerung. „Das Muster kommt von damals, als ich zehn war, ich erinnere mich dass damals genau das gleiche passiert ist.“ Wir finden ein Muster in der Gegenwart, und es wird zu einer Erinnerung an unsere vergangene Geschichte die nun ein Bestandteil unseres Bewusstseins ist, obwohl wir dies zuvor nicht wussten, wir lebten und regierten nur ihr entsprechend. Können Sie sich diese Schritte vorstellen?
BÜHNEN UND BILDFLÄCHEN
Wenn Sie noch ein wenig Geduld haben für einen weiteren Teil Theorie, bringt uns dies zu einer weiteren interessanten Dimension von Bewusstsein, Verhalten und Erleben. Diese Dimension möchte ich unter der Überschrift Bühnen und Bildflächen (Bildschirme) betrachten. Das hört sich wie im Theater an: ‚Bühnen und Bildflächen‘ , ‚Schauspiel und Film‘. Aber dort finden die Ereignisse statt, auf Bühnen und Bildflächen. Und ich möchte über die verschiedenen Bühnen reden. Das gehört an diese Stelle, weil es mit dem Verfolgen der Erinnerungen und dem ganzen Microtracking zu tun hat: Wir versuchen, so viel wie möglich darüber in Erfahrung zu bringen, wie das ganze vor sich geht, und dieses Wissen dem Klienten zugänglich zu machen, und es gibt viele verschiedene Orte, wo sich die Informationen ansammeln und zur Verfügung stehen. Und diese werde ich mit Ihnen ansehen, wenn ich mit Ihnen arbeite:
Da ist zunächst einmal die Bühne des scheinbaren Hier-und-jetzt. Das ist diese Bühne, hier in diesem Raum, und ich nenne sie das scheinbare Hier-und-jetzt, weil nach bestem Wissen und Gewissen sich alles hier und jetzt abspielt. Sie sitzen hier und hören zu, ich spreche, und wir interagieren, ich gehe vielleicht dort hinüber und schüttle Hände, und es schaut so offensichtlich aus, so konkret, es kann doch nichts anderes sein. Aber denken Sie daran, wir sagten zuvor, dass alles, was sich vor unseren Augen abspielt, auch Erinnerungen wachruft. Der eine erlebt dieses Hier-und-jetzt vielleicht so, dass er denkt: „Ich komm vom Land und bin hier in dieser großen Stadt“, und er wird entsprechend reagieren, und die andere denkt „Ich bekomme ein Kind und das wird meine Zukunft prägen“, also ist das Hier und Jetzt für jeden einzelnen konditioniert durch irgend eine Art inneres Leben, welches er oder sie in Verbindung bringt mit dem Hier-und-jetzt. Das Hier-und-jetzt hat also für jeden von uns eine Menge „dort und damals “ in sich, und daher nenne ich es das scheinbare Hier-und-jetzt. Die Dinge scheinen sich jetzt abzuspielen, aber jeder hat ein Innenleben, das vollständig einfärbt, wie er sich im Hier-und-jetzt verhalten wird. Und das geschieht nicht notwendig bewusst. Jeder sagt: „Das ist doch nur hier und jetzt, es ist doch offensichtlich, das es nur hier ist“, aber es sind die Bildflächen von jedem einzelnen am Werk. Wir sind uns dieser individuellen Bildfläche aber nicht bewusst, es scheint „nur“ die Realität zu sein.
Ich möchte mich nun einer andern Bühne zuwenden. Das ist die Bühne unseres Körpers. Wenn Sie wollen, können Sie sich den Körper als eine Plattform vorstellen, auf der Schauspieler „auftreten“ und die Schauspieler auf dieser Bühne sind die Empfindungen und Gefühle in unserem Körper. Erinnern Sie sich, ich sagte, dass wir im Moment der Wahrnehmung eine emotionale Reaktion haben. Aber manchmal fühlt sich diese nicht wie eine emotionale Reaktion an, nur der Körper agiert so, als ob eine emotionale Reaktion da wäre. Die Person empfindet diese Emotion nicht, sondern nur eine Körperempfindung, wie bei den Schmerzpatienten: sie haben vielerlei Schmerzempfindungen in ihrem Körper, aber meist sind diese Empfindungen Emotionen und haben keine physiologischen Ursachen. Was also auf der Bühne unseres Körpers auftritt und tanzt sind unsere Emotionen, bevor wir sie als Emotionen wahrnehmen und bevor sie in Aktionen umgewandelt werden. Da mag ein Zittern in unseren Beinen sein, ein Kribbeln in den Fingerspitzen, kalte Füße, Herzklopfen. Alle diese körperlichen Empfindungen sind Emotionen, die auf der „Bühne unseres Körpers“ tanzen. Dies ist eine der Bühnen. Das haben Sie gestern in der Demonstration gesehen: Die Klientin hatte irgendwelche Empfindungen in ihrer Brust, da war zunächst keinerlei Emotion, aber man kann das in einer Art und Weise organisieren, dass Aktion daraus wird und dann kann die Emotion dahinter herauskommen, an der Stelle kam die Scham.
Ich verfolge also das scheinbare Hier-und-jetzt, ich verfolge die Zustände des Körpers, was sich auf dem Körper abspielt, einschließlich des Gesichtes, die Gefühlsausdrücke im Gesicht. Das sind zwei der Bühnen. Dann gibt es eine dritte Bühne, über die ich als nächstes reden möchte, und das ist die Bühne, auf der sich die Therapie abspielt. Die geschieht nicht im scheinbaren Hier-und-jetzt, sie geschieht auf einer speziellen Bühne, die ich gleich definieren werde. Aber bevor wir zu dieser speziellen Bühne kommen, möchte ich über eine andere Bildfläche reden, und das ist die Bildfläche des geistigen Auges, die Bildfläche, auf der wir uns bewusst an etwas erinnern: Wir sehen es vor unserem geistigen Auge. Sie erinnern sich, dass ich zuvor sagte, dass Bewusstsein immer eine Reaktion auf Wahrnehmung ist. Ich sehe also etwas und reagiere, und das wird in derselben Intensität geschehen, wenn ich etwas vor meinem geistigen Auge sehe, wie wenn ich auf etwas reagiere, was ich in der Realität sehe. Dies ist also eine sehr machtvolle Bildfläche. Manchmal reagieren Menschen und man glaubt, die Reaktion wäre die auf etwas Äußeres, aber in Wirklichkeit reagieren sie auf dieses Innere. Wir müssen also die Bildfläche des geistigen Auges verfolgen, wo die Klienten im Inneren etwas sehen. Ihr Körper reagiert darauf so, als ob es tatsächlich präsent wäre, und in der Tat reagieren wir auf unsere inneren Bilder so, also ob sie in der Realität anwesend wären. Man könnte das beinahe einen Flashback nennen, wenn man beispielsweise mit Trauma arbeitet, aber es ist kein Flashback, wir erinnern uns zwar an etwas, aber das geschieht unter unserer Kontrolle.
HISTORISCHE MUSTER VERFOLGEN
Ich schlage Ihnen vor, dass sie bewusst an … an Ihre Mutter denken. Holen Sie ihr Bild hervor vor Ihrem geistigen Auge. Können Sie das tun? Oder denken Sie an irgendjemanden, den Sie lieben. Lassen sie das Bild in sich entstehen. Was geschieht, wenn Sie dies tun? Sehen Sie sie vor sich? Und der Körper reagiert je nach dem, wie Sie der Person gegenüber empfinden, nicht wahr, im gleichen Moment. Das ist die Bildfläche des geistigen Auges. Und das verfolge ich in der Arbeit. Sie erinnern sich: Ich sagte, dass ich das gegenwärtige Bewusstsein verfolge, und dass dann plötzlich ein Muster deutlich wird, und wir sagen: „Oh ja, ich erinnere mich, damals in meiner Geschichte…“ Stimmt’s? Sobald sich jemand an ein vergangenes Geschehen erinnert, taucht das Gesicht der Mutter, des Vaters, der Schwester, des Bruders, des Onkels, des Freundes auf und der Körper reagiert darauf. Nun, wo machen wir diese Information sichtbar? Wir machen sie auf der Bühne der Struktur sichtbar. Wir schaffen einen mythischen, rituellen Raum, der nur scheinbar im Hier und Jetzt des Therapieraumes dargestellt wird, sich aber in der Zeit bewegt, und er ist voller Leute, die nicht aktuell in der Gegenwart da sind. Jemand sieht seine Mutter vor sich und hat eine innere Reaktion auf der Basis seiner Geschichte mit ihr, die aktiviert wurde, und ich schlage dieser Person vor: „Suche Dir jemand im Raum aus, der diese Mutter darstellen könnte“, so dass das, was der Klient vor seinem geistigen Auge sieht, auch hier im tatsächlichen Raum sichtbar wird. Wir sorgen also dafür, dass der tatsächliche Raum wie eine virtuelle Erweiterung der Neurologie und des Gehirns des Klienten wird. Was auf der Bildfläche innen ist, wird also nun auch auf der Bühne hier außen sichtbar, es ist ein tatsächliches Äquivalent. Das nennen wir den Übergang zur Historischen Szene, wir machen die Geschichte sichtbar, als ob sie sich jetzt abspielte, weil die Person sie vor sich sieht und mit ihrem Körper darauf reagiert und all dies für das gegenwärtige Bewusstsein von Bedeutung ist, von dem wir ausgegangen waren. Wir hatten das Bewusstsein und die Muster verfolgt, und das hatte – zoop – zu dieser Geschichte geführt, nun stellen wir diese Geschichte dar.
Wir stellen dies aus zwei Gründen dar: Erstens, damit wir ein klares Bild davon bekommen, worum es bei diesem Ereignis ging. Wir bekommen mehr Klarheit und Einsicht: Wenn dort eine Mutter war, ob sie übergriffig war, ob sie krank war, was auch immer los war. Man sieht das ganze Muster absolut klar vor sich, und der Körper reagiert auf diese Wahrnehmung natürlich intensiv. Wenn der Klient vor ihr Angst hatte, dann wird diese Furcht aktiviert und zeigt sich im Körper, wenn er sie liebte, dann wird der Impuls kommen, sie zu umarmen, wenn er sie hasste, wird der Impuls kommen, sie anzugreifen, all das spielt sich im Körper ab. Und wir erlauben diesen Impulsen, aktiv zu werden, so dass sich das alles nicht nur auf der Bühne des Körpers bewegt, sondern dass der Körper sich auf dieser Bühne (der Struktur) bewegen kann, so wie wir es gestern mit der Furcht und der Aggression gemacht haben. Und wenn wir dies machen, welche Emotion auch immer sich ausdrückt, dann arrangieren wir das so, dass die Person gegenüber in einer dazu passenden Weise reagiert, einer Weise, die diesem Ausdruck Glauben schenkt, und ihm Befriedigung verschafft. Wir nennen das Akkomodation.
Dieser Teil der Arbeit hat ein wichtiges kathartisches Element in sich, Katharsis in dem Sinne, dass manchmal im Inneren Dinge gefroren sind, die endlich ausgedrückt werden müssen, so dass sie nicht mehr gefroren sind und endlich wieder in Bewegung kommen. Aber wir sollten vorsichtig sein mit der Annahme, Katharsis sei ein Element sine qua non und die Basis der Therapie. Sie ist nur ein kleiner Teil des therapeutischen Prozesses. Leicht wird auf dem Hintergrund überkommener medizinischer Vorstellungen die Katharsis zur Basis der Heilung, denn die alte Denkweise war, dass der Patient Dämonen, Teufel, bösen Geister oder was auch immer in sich habe und das diese entfernt werden müssten. So gab es Aderlässe oder Einläufe, Purgierungen oder wer weiß was um das Schlechte herauszubekommen. Und manche Leute glauben, dass es auch in der Psychotherapie darum gehe. Da sind viel schlechte Gefühle in mir, und ich muss sie heraus bekommen, damit es mir besser geht. Aber dann hat man noch immer mit derselben Geschichte zu tun, nichts hat sich verändert, außer dass man die Emotionen ausgedrückt hat. Und diese Leute die sich davon Hilfe versprechen, sind endlos damit beschäftigt, sich dieser Gefühle zu entledigen, und sie stellen immer wieder fest, dass sie nicht damit fertig werden: Da ist immer noch Trauer in mir, da ist immer noch Wut, wie kann ich sie loswerden? Aber der Grund dafür, dass es ihnen noch immer nicht besser geht, ist, dass sie sich nie eine neue Erinnerung verinnerlicht haben. Von dort kommt die Heilung: von der neuen Erinnerung, denn die Erinnerung ist es, die die miese Gegenwart bedingt, nicht etwas, dessen man sich entledigen könnte, um sie weniger mies zu machen.
ANTIDOT: DIE KONSTRUKTION EINER NEUEN SYNTHETISCHEN ERINNERUNG
Wir können stattdessen die historische Szene nutzen, um zu sehen, was damals in dieser alten Geschichte gefehlt hat. Wenn wir erkennen, dass beispielsweise die Befriedigung eines Grundbedürfnisses gefehlt hat (ich bin nicht in die Komplexität der anderen Bereiche gegangen: der Integration der Polaritäten, der verschiedenen Anteile meiner selbst, die ich nicht entwickeln konnte, oder ob ich bestimmte Dinge nicht wissen oder benennen durfte, oder keine Selbststeuerung entwickeln, oder mich nicht selbst verwirklichen). Wir sehen uns also die alte Geschichte an, und benutzen unser theoretisches und diagnostisches Wissen, um festzustellen, was genau damals fehlte. Und das gibt uns die Gelegenheit, eine neue Erinnerung zu konstruieren. Wenn damals also eine Mutter im Sterben lag, brauchen wir eine Mutter, die gesund gewesen wäre. Wenn der Vater im Krieg war, ist der Ideale Vater präsent und an der Erziehung beteiligt. Wir sagen also nicht, dass es dem Klienten trotz dieser Geschichte besser gehen soll. Wir sagen, wir erschaffen eine neue Geschichte. Denn deine Geschichte ist es, die sich verändern muss, und zwar in der Weise, dass sie deinen evolutionär festgelegten Entwicklungsbedürfnissen besser entspricht.
Es geht also nicht um eine beliebige alternative Geschichte. Wir nutzen als Leitlinie das Verlangen unserer Seele nach Ganzheit. Andernfalls könnten wir irgendeine fantastische Geschichte erfinden, aber die heilende Geschichte muss aus diesen tief verwurzelten organismischen Antrieben hin zur Erfüllung entwickelt werden. Und um diese Erfüllung zu gewährleisten, haben wir diese Idealen Figuren. Aber, wie gesagt, das Ganze muss in der richtigen Altersstufe geschehen. Auf dieser zeitlich beweglichen Bühne können wir dorthin gehen – es schaut so aus, als würde es hier und jetzt geschehen, aber wir sorgen dafür, dass es das angemessene Dort-und-damals ist. Zu verschiedenen Momenten der Demonstration gestern war die Klientin zwei, oder sieben, oder dreizehn, und in jeder dieser Altersstufen konnte sie all die Körperempfindungen spüren, und wie von außen damit hätte umgegangen werden sollen. Und das muss durch die geeignete Person geschehen: Wenn die Mutter fehlte, dann brauchen wir eine präsente Mutter. Manchmal sagen die Klienten nämlich: „Meine Mutter war ja nicht da, also wünsche ich mir einen Vater, der sie in ihren mütterlichen Funktionen ersetzt hätte.“ Natürlich können wir damit überleben, aber dann haben wir noch immer keine Mutter. Wir sorgen also immer für diese Art der Symmetrie: Wir brauchen dann eine Ideale Mutter, und die Ideale Mutter soll so sein, als ob wir von neuem auf die Welt kämen, aber diesmal von einer Mutter geboren, die all die Eigenschaften hat, die sie braucht, um uns in der richtigen Weise zu bemuttern.
Auf dieser Zeitlinie gehen wir also in das angemessene Alter zurück mit der jeweils angemessenen Figur, und dann ist es nicht bloß eine Scharade, denn die Klienten machen tiefe und echte Gefühlserfahrungen, und sie können diese als Erinnerungsbild behalten und mit dem ursprünglichen Defizit in Verbindung bringen. Wir können die Erinnerung an das Defizit nicht über Bord werfen, denn sie ist ein Teil unseres Charakters, aber wir können diese neue Erinnerung damit verknüpfen. Wenn wir also daraufhin die Welt wahrnehmen und die alte Erinnerung und die alten Muster aktiviert werden, so verfügen wir in Verbindung damit auch über die neue Erinnerung und alternative Weisen, die Gegenwart wahrzunehmen. Wir haben das immer wieder festgestellt: Wenn wir eine glaubhafte neue Erinnerung konstruiert haben, dann verändert sich die Wahrnehmung der Gegenwart, weil, wiederum, die Wahrnehmung der Gegenwart durch die Erinnerungen an die Vergangenheit bestimmt wird. Und das ist der letzte Teil einer Struktur: Wir helfen dem Klienten, nicht nur von der Idealen Figur sondern von sich selbst in Beziehung zu ihr ein neues, kinaesthetisches, sensorischmotorisch-auditiv-visuelles Erinnerungsbild zu machen und zu absorbieren. Wir haben also nicht nur die Erinnerung an uns selbst mit …, sondern eine Erinnerung an die Interaktion selbst, denn so funktioniert das Gehirn, dass wir Interaktionen repräsentieren. Wir machen neue Repräsentationen von Interaktionen, und dies heilt die alten Repräsentationen und verändert die Art und Weise, wie wir die jetzige Welt sehen. Sie sorgen dafür, dass wir eher eine Welt voller Möglichkeiten, Hoffnung, Freude, Befriedigung, Sinngehalt und Verbundenheit sehen, und nicht mehr so sehr die Verzweiflung, Frustration, den Schmerz und die Entfremdung der alten Erinnerungen. Das war’s. Ich glaube, ich bin mit meiner Geschichte am Ende.